Fearless Recycling
Skateboarder und Weltverbesserer hört sich nach einem Klischee an. Doch wer Christian Sigmund, Mitbegründer und CEO von Wild Plastic, kennenlernt, lernt auch das Feuer kennen, mit dem er – gemeinsam mit seinen Mitgründer:innen und mit Mitarbeiter:innen – die Welt und Umwelt ein ordentliches Stückchen verbessern will. Mit ‚Wild Plastic’ sind sie nicht nur angetreten, einen besonders schwierigen Müll (Folienplastik) zu recyceln, sondern auch eine neue Art von Unternehmung zu gründen.
Seit unseres ersten gemeinsamen Telefonats und der Dokumentationen, die ich zu Wild Plastic geschaut habe, habe ich mich auf dieses Interview gefreut. Denn Chris und seine Mitstreiter:innen gehen mit unglaublich fazsinierendem Elan Probleme an, die meine Generation zumindest versucht hat zu ignorieren, wenn nicht – gemeinsam mit der jetzt im soliden Ruhestand befindlichen Generation – geschaffen hat. Menschen, die wir dringend brauchen und ein Interview, das trotz der ganzen Versäumnisse kein schlechtes Gewissen macht oder anklagt, sondern ermutigt anzupacken und sich mitzureißen zu lassen.
Wild Plastic ist ein Kollektiv von Menschen, die sich dem Plastikmüllproblem verschrieben haben. Die Vision der Organisation ist eine plastikfreie Umwelt. Das heißt: Umweltökosysteme schaffen, die von dem Müll, den wir in den letzten Jahrzehnten dort entsorgt, entladen haben, regeneriert sind und die Umwelt vom wilden Plastikmüll befreien.
Christian Sigmund
Wild Plastic
Podcast-Interview
Fearless Recyclen
sinnvolle Arbeit, Mission und Wildheit.
Wir sind der fundamentalen Überzeugung, dass unsere Mission größer ist als wir
„Wir alle glauben an positives Unternehmertum. Wir glauben, dass die Wirtschaft in Zukunft eher Teil der Lösung, als Teil des Problems sein wird. In der Vergangenheit haben wir jedoch mit so vielen Dingen Strukturen und Systeme etabliert, die eher Teil des Problems waren,“ sagt Christian Sigmund, Mitbegründer und CEO von Wild Plastic im Fearless Culture Podcast Interview. Dazu gehören auch Unternehmen, deren Verantwortung an der Stelle aufhört, wo die Probleme anderer beginnen. Er konkretisiert: „Unternehmen, die eigentlich nur auf die eigenen Zahlen schauen. Diese Art der Wirtschaft ist nicht das, woran wir glauben.“
Bei der Mission von Wild Plastic war schon bei der Gründung klar, dass das Unternehmen anders aufgestellt sein sollte. „Wir sind auf eine Unternehmensart gestoßen, die sich Purpose GmbH nannte und heute GmbH in Verantwortungseigentum heißt“, erklärt Chris. „Diese GmbH sind zwar Wirtschaftsunternehmen, machen aber zwei Dinge gravierend anders: Das Erste ist, dass das Stimmrecht, also die Kontrolle über das, was im Unternehmen geschieht, unverkäuflich ist und immer im Unternehmen bleibt. Man könnte sagen, das Unternehmen gehört sich selbst. Und der zweite Unterschied besteht darin, dass zwar Gewinne erzielt werden können, aber nicht beliebig ausgeschüttet, sondern in Sinn und Zweck reinvestiert werden.
Dies dient langfristig dazu, den Sinn, also wofür wir angetreten sind, immer größer und besser zu machen. Mit diesen beiden Prinzipien gehört sich die GmbH selbst und sie verwendet Gewinne für den Sinn und Zweck. Denn wir sind der fundamentalen Überzeugung, dass diese Mission größer ist als wir und somit auch nicht uns gehören sollte. Sie sollte immer an die Menschen gebunden sein, die am fähigsten, am kompetentesten und am involviertesten im Unternehmen sind. Das kann irgendwann auch jemand anderes sein als ich.“
40 Millionen kleine Plastikbeutel jeden Tag. Was könnte ein sinnvoller Einsatz für diese Folie sein? Mülltüten.
„Im Beispiel von Haiti arbeiten wir mit sogenannten Sachets (das sind kleine Verpackungen in Taschen- oder Beutelform, hier: Trinkwasserbeutel) mit rund hundert Milliliter Inhalt. Dort gibt es keine Flaschen, keine Brunnen, keine Möglichkeit, an frisches Wasser zu kommen. Dort gibt es im Grunde nur diese Sachtes, die die lokale Trinkwasserversorgung darstellen. „Hundert oder hundertzwanzig Milliliter bei einem Liter pro Person sind zehn Stück pro Tag. Bei vier Millionen Einwohnern kommen wir auf 40 Millionen kleine Plastikbeutel – jeden Tag,“ rechnet Christian Sigmund, Mitbegründer und CEO von Wild Plastic, vor und führt weiter aus: „Das ist nur eine Sorte Folienplastik. Es gibt noch jede Menge Plastiktüten, Umverpackungen und alle möglichen anderen Folien, die irgendwann alle in der Umwelt landen. Wir haben uns erst das Problem angeguckt und überlegt: 80 Prozent des Plastikmülls, die in der Umwelt landen, wurden weder recycelt noch verbrannt. Das ist doch Wahnsinn. Bei der Recherche erfährt man schnell, dass es einen ziemlich guten Markt für PET – also Plastikflaschen – gibt, die sich auch deutlich leichter sammeln lassen. Uns ist aufgefallen, dass das viel größere Problem das Folienplastik in der Umwelt ist. Es ist leichter, zersetzt sich schneller, wird eher von Tieren gegessen als eine Flasche und es kümmert sich aktuell niemand darum“, erklärt Christian.
„Aus der Impact Perspektive ist es vielleicht ein aufwendigeres Material, weil ein Kilo Folie zu sammeln deutlich schwieriger ist als ein Kilo Flaschen. So ist der Gedanke gereift, dass es für ein echt massives Problem keine Lösung gibt. Folglich haben wir überlegt, was denn ein sinnvoller Einsatz für diese Folie wäre, um ihr ein zweites, drittes, viertes Leben zu geben? Wir sind der Meinung: Mülltüten sollten nicht mehr aus Neuplastik sein, wenn es die Möglichkeit gibt, gleichzeitig wildes Folienplastik zu retten.“